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Sexuelle Gewalt Schachplattformen ziehen Konsequenzen aus Missbrauchsvorwürfen

Ein renommierter US-Klub hat jahrelang Vorwürfe sexueller Gewalt gegen einen Großmeister nicht ernst genommen. Chess.com und Lichess zeigen sich enttäuscht – und wollen die Turniere des Klubs nicht mehr übertragen.
Schachfiguren auf einem Brett: Spielerinnen erheben Vorwürfe gegen Männer

Schachfiguren auf einem Brett: Spielerinnen erheben Vorwürfe gegen Männer

Foto: ANDY RAIN / EPA

Zahlreiche Frauen aus der Schachwelt haben in den vergangenen Tagen und Wochen Vorwürfe wegen Sexismus und sexueller Gewalt öffentlich gemacht, nun ziehen die weltweit größten Schachplattformen chess.com  und Lichess  erstmals Konsequenzen. Beide Plattformen haben angekündigt, die Zusammenarbeit mit dem renommierten Saint Louis Chess Club aus den USA zu beenden. Lichess kündigte zudem an, nicht mehr mit dem Schachverband der USA kooperieren zu wollen.

Hintergrund ist der Fall der ehemaligen US-Meisterin Jennifer Shahade, die Großmeister Alejandro Ramírez im vergangenen Februar öffentlich »sexuelles Fehlverhalten« vorgeworfen hatte. Das »Wall Street Journal«  berichtete daraufhin von acht weiteren Frauen, die Ramírez ähnliche Vorwürfe machen. Ramírez, damals Mitglied des Saint Louis Chess Clubs, sei etwa körperlich aggressiv geworden, habe sie ohne ihre Zustimmung geküsst und betatscht. Drei der Frauen sollen zum Zeitpunkt der Tat jünger als 18 Jahre alt gewesen sein. Die Zeitung berichtete, sie habe auch belastende Textnachrichten von Ramírez einsehen können.

Ramírez äußerte sich auf eine SPIEGEL-Anfrage damals nicht. Kurz nach dem Bericht trat er aus dem Schachklub in Saint Louis aus. Er kooperiere bei den Ermittlungen, teilte Ramírez mit. Seine Klubzugehörigkeit sei jedoch nicht im besten Interesse des Klubs.

Ramírez als Frauentrainer im Einsatz

Das »Wall Street Journal« schrieb, dem Saint Louis Chess Club sowie dem US-Schachverband seien die Vorwürfe gegen Ramírez seit Jahren bekannt gewesen. Ein Anwalt des Schachklubs habe bereits 2020 von Shahades Anschuldigungen gewusst, das gehe aus einem Brief hervor. Trotzdem hätten weder der Klub noch der Verband Konsequenzen gezogen. Ramírez arbeitete weiter als Schachkommentator und wurde 2022 sogar als Trainer des US-Nationalteams der Frauen eingesetzt.

Nun ziehen die großen Schachplattformen Konsequenzen. »Chess.com wird in absehbarer Zukunft keine Veranstaltungen des St. Louis Chess Clubs unterstützen oder darüber berichten«, sagte Danny Rensch, Chief Chess Officer von chess.com, dem »Wall Street Journal« : »Wir sind enttäuscht darüber, wie die Führung des US-Schachverbands mit dieser ganzen Situation umgegangen ist und hoffen auf Verbesserungen in Bezug auf Transparenz und Maßnahmen.«

Lichess schreibt, man könne sich angesichts der Berichte und Vorwürfe nicht mehr darauf verlassen, dass der US-Verband sowie der Schachklub in Saint Louis (STLCC) Frauen im Schach schützen. »Daher hat das Lichess-Team beschlossen, die Zusammenarbeit mit US Chess und STLCC formell zu beenden. Das bedeutet, dass wir ihnen keine technische oder direkte Unterstützung bieten und keine Werbung für ihre Veranstaltungen auf Lichess oder in den sozialen Medien machen werden.«

Für den Schachklub ist das ein heftiger Einschnitt. Schließlich richtet er mit dem Sinquefield Cup oder dem Saint Louis Rapid & Blitz wichtige und renommierte Turniere im Schachkalender aus. Diese werden nun nicht mehr auf den größten Plattformen übertragen. Chess.com zählt allein mehr als hundert Millionen Mitglieder , auf Lichess werden pro Monat um die hundert Millionen Partien  gespielt.

Der Klub hat sich bislang nicht zu den Reaktionen von chess.com und Lichess geäußert, wird diese aber kaum ignorieren können. Rex Sinquefield, ein Geschäftsmann und Philantrop, hatte den Klub 2008 gegründet und baute Saint Louis zur neuen Hauptstadt des US-Schachs auf. Der US-Verband verlegte seine Zentrale nach Saint Louis. Laut BBC  investierte Sinquefield Millionen von Dollar ins Schach. Zu den Vorwürfen gegen seinen Klub hat sich der 79-Jährige bislang nicht geäußert.

Shahade fühlt sich »nicht mehr allein«

Jennifer Shahade äußerte sich derweil zu den Konsequenzen, die chess.com aus den Berichten zieht. Bei X, vormals Twitter, schreibt sie: »Als ich im Jahr 2020 begann, daran zu arbeiten, Ramírez aus dem Training für Kinder und Frauen zu entfernen, fühlte ich mich oft einsam, gemieden – und sogar verrückt. Heute fühle ich mich nicht mehr allein.«

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Shahade ist einer prominentesten Vertreterinnen, die kürzlich einen offenen Brief unterschrieben haben, der sexuelle Gewalt im Schach scharf verurteilt. Mehr als 120 Frauen haben den Brief mittlerweile unterzeichnet. Darunter ist auch die deutsche Nationalspielerin Annmarie Mütsch. »Ich kenne fast keine Frau im Schach, die keine Erfahrungen mit Sexismus gemacht hat«, sagte sie im SPIEGEL-Interview . Sie selbst habe Turniere gemieden, bei denen bestimmte Männer anwesend gewesen seien. Sie erhoffe sich nun einen #MeToo-Moment im Schach. Der Deutsche Schachbund  bezeichnet den offenen Brief als »ernstes Alarmsignal« und hat etwa Mütsch bereits Unterstützung zugesichert.

Der Weltverband Fide teilte mit , er setze die Arbeit an Schutzrichtlinien für Frauen fort.

ptz