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Ein Roman über eine Familie am Scheideweg: über Sehnsucht und Geschwisterliebe, über Lügen, Geheimnisse und Rivalität. Der Auftakt zu Jonathan Franzens Opus magnum «Ein Schlüssel zu allen Mythologien» - einer Trilogie über drei Generationen einer Familie aus dem Mittleren Westen und einem der größten literarischen Projekte dieser Zeit.
Es ist der 23. Dezember 1971, und für Chicago sind Turbulenzen vorhergesagt. Russ Hildebrandt, evangelischer Pastor in einer liberalen Vorstadtgemeinde, steht im Begriff, sich aus seiner Ehe zu lösen - sofern seine Frau Marion, die ihr eigenes geheimes Leben
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Produktbeschreibung
Ein Roman über eine Familie am Scheideweg: über Sehnsucht und Geschwisterliebe, über Lügen, Geheimnisse und Rivalität. Der Auftakt zu Jonathan Franzens Opus magnum «Ein Schlüssel zu allen Mythologien» - einer Trilogie über drei Generationen einer Familie aus dem Mittleren Westen und einem der größten literarischen Projekte dieser Zeit.

Es ist der 23. Dezember 1971, und für Chicago sind Turbulenzen vorhergesagt. Russ Hildebrandt, evangelischer Pastor in einer liberalen Vorstadtgemeinde, steht im Begriff, sich aus seiner Ehe zu lösen - sofern seine Frau Marion, die ihr eigenes geheimes Leben lebt, ihm nicht zuvorkommt. Ihr ältester Sohn Clem kehrt von der Uni mit einer Nachricht nach Hause zurück, die seinen Vater moralisch schwer erschüttern wird. Clems Schwester Becky, lange Zeit umschwärmter Mittelpunkt ihres Highschool-Jahrgangs, ist in die Musikkultur der Ära ausgeschert, während ihr hochbegabter jüngerer Bruder Perry, der Drogen an Siebtklässler verkauft, den festen Vorsatz hat, ein besserer Mensch zu werden. Jeder der an einem Scheideweg stehenden Hildebrandts sucht eine Freiheit, die jeder der anderen zu durchkreuzen droht.

Jonathan Franzen ist berühmt für seine Gegenwartspanoramen mit ihren unvergesslich lebendigen Figuren. Jetzt, in «Crossroads», einer aus mehreren Perspektiven erzählten Geschichte, die sich im Großen und Ganzen an einem einzigen Wintertag entrollt, nimmt er den Leser mit in die Vergangenheit und beschwört eine Welt herauf, die in der heutigen noch nachhallt. Ein Familienroman von beispielloser Kraft und Tiefe, mal komisch, mal zutiefst bewegend und immer spannungsreich: ein fulminantes Werk, in dem Jonathan Franzens Gabe, im Kleinen das Große zu zeigen, in Erscheinung tritt wie nie zuvor.

«Jonathan Franzen ist einer der größten lebenden Schriftsteller, und seine Romane gehören zum Kanon der großen amerikanischen Familien- und Sozialepen.»
DER SPIEGEL
Autorenporträt
Jonathan Franzen, 1959 geboren, erhielt für seinen Weltbestseller 'Die Korrekturen' 2001 den National Book Award. Er veröffentlichte außerdem die Romane 'Die 27ste Stadt', 'Schweres Beben', 'Freiheit' und 'Unschuld', das autobiographische Buch 'Die Unruhezone', die Essaysammlungen 'Anleitung zum Alleinsein', 'Weiter weg' und 'Das Ende vom Ende der Welt' sowie 'Das Kraus-Projekt' und den Klima-Essay 'Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen'. Er ist Mitglied der amerikanischen Academy of Arts and Letters, der Berliner Akademie der Künste und des französischen Ordre des Arts et des Lettres. 2013 wurde ihm für sein Gesamtwerk der WELT-Literaturpreis verliehen, 2022 der Thomas-Mann-Preis. 2015 erhielt er für seinen Einsatz zum Schutz der Wildvögel den EuroNatur-Preis. Er lebt in Santa Cruz, Kalifornien.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Johannes Franzen wünscht sich nach dem Lesen von Jonathan Franzens "Crossroads" das Ende der Rückkehr des realistischen Erzählens. Denn der Autor behandele auf 800 Seiten im ersten Teil einer scheinbar geplanten Trilogie die inzwischen in der Literatur seiner Meinung nach schon auserzählten Probleme einer Familie der siebziger Jahre in Chicago: Von der Midlife-Crisis eines Vaters, von Eheproblemen, Generationenkonflikten und Pubertät hat der Rezensent jetzt oft genug gelesen. Zudem strotze der Roman vor Wiederholungen, alles werde bis ins kleinste Detail auserzählt, so dass kein Raum für Deutungen mehr bleibe, klagt der Rezensent. Und für Franzens Sexszenen schämt er sich gar. Die deutsche Übersetzung scheint ihm altbacken, die in Jugendsprache geschriebenen Passagen gekünstelt. Dass der Roman auch spannende Passagen hat, erwähnt er immerhin auch.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.10.2021

Innen ohne Außen

Jonathan Franzen will die amerikanischen Mythologien entziffern, und wenn es drei Romane dauert: "Crossroads"

Achthundertdreißig Seiten zählt der neue Roman des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Franzen, "Crossroads". Und das ist erst der Anfang einer dreiteiligen Familiensaga, die Franzen, Autor der "Korrekturen", vielleicht der wichtigste amerikanische Roman seit Beginn des 21. Jahrhunderts, in den kommenden Jahren fertigstellen will. "Ein Schlüssel zu allen Mythologien" hat Franzen seine Trilogie genannt. Sie erzählt aus dem Leben der Familie Hildebrandt: von Russ, dem Vater, Pfarrer einer jugendbewegten Gemeinde im Mittleren Westen. Und Marion, seiner Frau. Und den vier Kindern Clem, Becky, Perry und Judson. Eine Familie im Mittleren Westen: Dort ist das erzählerische Werk Franzens seit seinem Debüt "Die 27. Stadt" zu Hause. Es spielte in St. Louis, der Stadt, in der Franzen aufwuchs, einem mittleren Ort mitten in einem Land, das im 20. Jahrhundert zur Zentrale der Welt wurde - bis die amerikanische Siegermentalität zu schwinden begann. Franzens Romane handeln alle davon, wie es ist, sich zu Höherem geboren zu fühlen und dann zurückstecken zu müssen, Frieden schließen zu müssen damit, dass sich nicht alle Versprechen einlösen, auch wenn das Gefühl nicht vergeht, dass man Anspruch darauf hat. Die biographiehaften Motive der amerikanischen Geschichte hat Franzen als Romanstoff erkannt und daraus mitreißende Geschichten geformt.

In "Crossroads" erzählt er jetzt von den Hildebrandts der frühen Siebzigerjahre. Vater und Mutter suchen nach Fluchtwegen aus ihrer Ehe. Clem ist auf dem College, aber vor allem im Bett seiner Freundin. Becky, die Tochter, ist die Ballkönigin ihrer Highschool, ein Star. Perry, etwas jünger als Becky, ist hochbegabt, psychotisch und drogenabhängig - und Judson noch zu klein, um schon irgendwas zu sein. Und auch wenn Franzen wie in den "Korrekturen" aus wechselnden Perspektiven erzählt und vor und zurück in der Zeit springt, interessiert er sich am stärksten für Becky. Und am wenigsten für Judson, aber wie gesagt: "Crossroads" ist ja erst der Anfang dieser Trilogie.

Deren Titel, "Ein Schlüssel zu allen Mythologien", ist dagegen schon fast der ganze Franzen, diese Brechung von Größenwahn und Ironie, die man von diesem postmodernen Realisten kennt. Und die seine Kritiker regelmäßig auf die Palme bringt. Es ist, als würde Franzen sich für eine Anmaßung genieren, die er dann aber mit voller Kraft begeht, weil er nicht anders kann. Wie sollte ein Roman von heute "alle Mythologien" entschlüsseln können? Aber was, wenn nicht ein Roman, sollte dazu imstande sein?

Vor allem wenn er von Jonathan Franzen ist. In den "Korrekturen" hatte der also den Familienroman als sozialen Diagnoseapparat für sich wiederentdeckt. Seitdem hat Franzen ihn immer wieder angewandt, im Vertrauen darauf, dass seine Figuren mit ihren Affekten zugleich die Affekte repräsentieren, welche die amerikanische Gegenwart umtreiben. Indem aber Franzen jetzt für seine Trilogie, deren Auftakt im Winter 1971 spielt, einen Titel gefunden hat, der wie das gigantomanische Konzeptalbum einer albernen langhaarigen Rockband exakt jener Jahre klingt, hebelt er den eigenen Anspruch auf Repräsentation scheinbar direkt wieder aus. Ohne ihn aber dann auch wirklich aufzugeben. Man konnte sich in Franzens Romanen aber noch nie einfach hineinfallen lassen. Man darf dem erzählerischen Sog nicht trauen, den sie bislang hatten. Franzen trickst.

Er kommt nicht von Tolstoi, Homer (höchstens von Simpson), Cervantes, er kommt aus einer amerikanischen Literatur, deren erzählerische Stärke in der Entzifferung von Oberflächenphänomenen steckt. Konsum, politische Inszenierung, Image: Das ist der Stoff für den Mythos der amerikanischen Auserwähltheit heute. Und so sind auch alle Figuren bei Franzen permanent auf Sendung. Alle reden, reden, betteln um Aufmerksamkeit. Kaum jemand schreibt Dialoge wie Jonathan Franzen in den "Korrekturen" oder im grandiosen Roman danach, "Freiheit". Wer solche Dialoge schreiben kann, hat vielleicht nicht alle Mythologien entschlüsselt, aber die Gegenwart im Griff.

Und man wartet auf diese Dialoge auch in "Crossroads", wartet sehnsüchtig, aber vergeblich. Dieser erste Teil der großen amerikanischen Chronik um die Familie Hildebrandt ist reine Introspektion: Man folgt den Figuren tief nach innen, während sie sich durch ihre amerikanische Epoche bewegen, kurz nach der Bürgerrechtsbewegung und 1968. Aber was die Figuren dort antreffen, dient nur dazu, die eigene Selbstsucht zu stillen: Pfarrer Russ bringt Spenden aus seiner weißen Vorstadt in die schwarzen Armutsviertel von Chicago, aber eigentlich nur, weil er die verwitwete, heiße Frances beeindrucken will. Clem schmeißt das College, meldet sich freiwillig für Vietnam, weil er seinem Vater zeigen will, was der für ein Heuchler ist. Marion verkennt die Psychose ihres Sohnes Perry, weil sie zu beschäftigt damit ist, ihm zu zeigen, dass sie genauso jung ist wie er.

Zentrum, battleground all dieser narzisstischen Kämpfe ist die Jugendgruppe der Kirchengemeinde: Sie nennt sich "Crossroads" und versammelt die - weiße - Vorortjugend zu Songs und Seelenstriptease. Aber auch hier herrschen die Codes von Beliebtheit und Coolness, und auch hier will Pfarrer Russ zu den Beliebten und Coolen gehören, wird aber von den Jugendlichen verstoßen, die soeben ihre Macht entdeckt haben. Die sich aus sozialen Umbrüchen jener Zeit ergeben hat.

Oder vielleicht auch nicht. Jonathan Franzen zeigt keine Umbrüche, sondern nur Bewusstsein im Wandel, es ist zwar Winter 1971, also ungefähr fünf Minuten vor Watergate, aber es dauert 506 Seiten, bis der Name "Nixon" fällt. Und mehr als der Name fällt dann auch nicht. Kann sein, dass Franzen mit dieser erzählerischen Konstruktion die Selbstbezogenheit seiner Figuren und der Nation, der sie angehören, auch im Formalen spiegeln wollte. Der strenge Ton der inneren Prüfung passt auch zum Pfarrhaus, in dem "Crossroads" spielt. Aber diese Prosa ist bleischwer, und ihre mechanische deutsche Übersetzung macht es einem auch nicht leicht.

"Russ wusste, dass er sich kindisch benahm, aber sein Schmerz und auch sein Hass waren von einer horizontlosen Totalität, die durch keine Erwachsenenperspektive geschmälert wurde, und darunter lag das süße Gefühl, auf Gottes Gnade zurückgeworfen zu sein: sich in eine solche Einsamkeit und Jämmerlichkeit hineinzumanövrieren, dass nur noch Gott ihn lieben konnte." So geht das 832 Seiten lang. Man hält sie durch aus Loyalität zu diesem großen Erzähler, hält sich fest an den wenigen Augenblicken von Franzen-Magie. Aber dieser Roman ist genauso beschäftigt mit seiner Bedeutung in der Welt wie die Figuren, von denen er erzählt, mit ihrer. Wie es mit Becky weitergeht, will man trotzdem wissen. Tobias Rüther

Jonathan Franzen, "Crossroads". Übersetzt von Bettina Abarbanell. Rowohlt, 832 Seiten, 28 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2021

Geschenke
für
den Kopf
Die Tage werden kürzer,
und es droht eine noch stillere Zeit
als sonst um Weihnachten.
Höchste Zeit für Bücher, Filme, Musik.
Empfehlungen aus dem
Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“
COLLAGEN: STEFAN DIMITROV
Moritz Baumstieger
EIN GROSSER SPASS
Ist er’s? Ist er’s nicht? 25 Jahre nachdem ein namenloser Autor in „Faserland“ einen Roadtrip nach Zürich unternahm, begibt sich in „Eurotrash“ ein „Faserland“-Autor namens Christian Kracht mit seiner Mutter auf eine Reise durch die Schweiz – und gleichzeitig durch die eigene Familiengeschichte.
Christian Kracht: Eurotrash. Kiepenheuer & Witsch. 224 Seiten, 22 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
Wenn sich ein 1,84 Meter großer Schreiber und ein 1,92 Meter großer Fotograf in einen Cinquecento quetschen und damit 7000 Kilometer abfahren, müssen sie von irrationalen Gefühlen geleitet sein. Im Falle der amici Marco Maurer und Daniel Etter war es die Liebe zu Italien, gutem Essen und Geschichten. Ihr Buch verführt zu einer Reise im Kopf – ein Konzept, das angesichts der Inzidenzen wieder in Mode kommt. Marco Maurer: Meine italienische Reise. Prestel Verlag. 240 Seiten, 26 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Vor Copy & Paste war Ausschneiden & Kleben – und nichts machte das Basteln von Einladungen, Collagen und Kinderquatsch lustiger als das anarchische „Schnippelbuch“: Tausende kleiner Bilder in einem Wälzer, den man mit der Schere traktieren durfte. Man darf es immer noch: Ein zweiter Band wurde 2015 neu aufgelegt, inklusive einem Text von Christian Ude zum Urheberrecht. Schnippelbuch 2: Schwarz-weißes Bilderarchiv. 503 Seiten, 40 Euro. www.schnippelbuch.de.
Hilmar Klute
EIN LIEBESBEWEIS
Wo rührt unsere Italiensehnsucht her? Richtig: Goethe hat sie entfacht! Aber was für Tricks und Heimlichkeiten waren nötig, bis der für beinahe alles zuständige Geheime Rat sich vom Weimarer Fürstenhof stehlen und die Tour seines Lebens machen konnte. Fein ironisch und mit großer Kennerschaft erzählt Golo Maurer diese klassische Aussteigergeschichte als Blaupause für spätere Romfahrten. Ohne Goethes Flucht ins Zitronenland wären weder Rudolf Borchardt noch Ernst Robert Curtius Gelegenheitsrömer geworden, noch wäre Ingeborg Bachmann dort „zum Schauen erwacht“ und aus Rolf Dieter Brinkmanns Klassikerzorn („Man müsste es wie Göthe machen, der Idiot: alles und jedes gut finden“) wäre nichts geworden.
Golo Maurer: Heimreisen. Goethe, Italien und die Suche der Deutschen nach sich selbst. Rowohlt. 539 Seiten, 28 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Pong ist wieder da. Er hat ein bisschen geschlafen, schlecht geträumt, und jetzt will eine Frau, die Pong bald „meine Johanna“ nennt, die Wohnung über ihm mieten. Sibylle Lewitscharoff, die große, höllenkomische Stilistin, hat ihren weltkritischen, in Fremdheit und Scheu verpuppten Helden zeitgerecht mit der „Corona-Mütze“ ausgestattet und in eine kleine, abgründige Liaison mit der grässlichen Wirklichkeit getrieben. Ein poetisches Kleinod – zauberhaft, komisch, anrührend.
Sibylle Lewitscharoff: Pong am Abgrund. Insel-Bücherei. 137 Seiten, 14 Euro.
Johanna Adorján
EINE HILFE
Helene Hegemann hat ein Buch geschrieben, das Patti Smith benutzt, um in Wahrheit von etwas ganz anderem zu erzählen. Es handelt von einer 13-Jährigen (ihr selbst), deren Mutter sich gerade totgesoffen hat und deren Vater sie zu Theaterproben mitnimmt, bei denen sie erkennt, welche Kühnheit, Kraft und Freiheit Kunst einem zu schenken vermag und welche Magie sich entfaltet, wenn man Ja zum Leben sagt.
Helene Hegemann: Patti Smith, Christoph Schlingensief, Anarchie und Tradition. KiWi Musikbibliothek. 112 Seiten, 10 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Nur weil jemand Johann Wolfgang von Goethe war, heißt das nicht, dass er nicht auch schlechte Gedichte geschrieben hat. Die schlechtesten (subjektive Auswahl des Herausgebers, aber sie sind wirklich sehr schlecht) sind nun in einem Band versammelt, okay, einem Bändchen, mit sehr schönen Illustrationen von Hauck & Bauer versehen.
Goethes schlechteste Gedichte. Mit Cartoons von Hauck & Bauer. Jung und Jung. 64 Seiten, 12 Euro.
Alex Rühle
EINE WIEDERENTDECKUNG
Bov Bjergs Debütroman „Deadline“, der wegen eines Druckereibrandes verschollen war, in einer Neuauflage. Der Tod und die Eltern, die Sprache und die Unmöglichkeit, die richtigen Worte zu finden, alles im Kopf einer Übersetzerin, die aus Boston ins Schwäbische zurückkommt. Sperrig, dicht wie Lyrik und abgrundtief grotesk. Bov Bjerg: Deadline. Kanon. 176 Seiten, 22 Euro.
EIN GROSSER SPASS
Wenn man dieses Buch durchhat, will man sofort zum Bahnhof, egal wohin, Hauptsache los: Jaroslav Rudiš’ „Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen“ ist eine enthusiastische Liebeserklärung an die Eisenbahn, das Unterwegssein und die europäische Geschichte. Rudiš erzählt mit großer Fabulierlust von seiner tschechischen Eisenbahnerfamilie, den besten Speisewagen und den schönsten Nachtzügen – ein Vergnügen erster Klasse. Jaroslav Rudiš: Gebrauchsanweisung fürs Zugreisen. Piper. 256 Seiten, 15 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Timothy Snyder veröffentlichte 2017 nach dem Trump-Schock „Über Tyrannei, 20 Lektionen für den Widerstand“, eine Verhaltenslehre für politisch schwere Zeiten und die Frage nach dem richtigen Leben und demokratischem Engagement. Nora Krug hat diese Thesen nun mit großartigen Illustrationen, Fotocollagen und Comicpassagen angereichert. Timothy Snyder: Über Tyrannei. Illustriert von Nora Krug. C.H. Beck. 128 Seiten, 20 Euro.
David Steinitz
EIN LIEBESBEWEIS
Der Trost, den große Romane spenden, weil man mit dem Menschsein nicht mehr ganz so allein ist, findet sich in Jonathan Franzens „Crossroads“ in Hülle und Fülle. Ein Epos über eine Pastorenfamilie im Chicago der Siebzigerjahre. Über Geschwisterbande, Elternliebe, Einsamkeit, Obsessionen und Liebeskummer. So schnell und so gierig hat man lange keinen 800-Seiter mehr verschlungen.
Jonathan Franzen: Crossroads. Rowohlt. 832 Seiten, 28 Euro.
EINE WIEDERENTDECKUNG
Der Niederländer Chas Gerretsen war eigentlich Kriegsfotograf, er dokumentierte Vietnam und den Militärputsch in Chile. Als er genug von Gewalt und Gefahr hatte, ging er nach Hollywood, träumte von einem entspannten Leben als Setfotograf – und landete ausgerechnet bei Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“. Seine Bilder von den vermutlich wahnsinnigsten Dreharbeiten der Filmgeschichte lagen jahrzehntelang im Archiv. Jetzt hat der 78-Jährige sie in einem opulenten Bildband herausgegeben.
Chas Gerretsen: Apocalypse Now. The Lost Photo Archive. Prestel. 256 Seiten, 45 Euro.
Carolin Gasteiger
EINE WIEDERENTDECKUNG
In ihrem Erstlingswerk von 1931 schildert Gabriele Tergit, wie der Volkssänger Georg Käsebier im Berlin der Dreißigerjahre von heute auf morgen zum Star hochgeschrieben wird. Ein liebevoll-bissiger Blick auf die Zeitungsbranche, nicht nur für diejenigen, die zu ihr gehören. Pointiert geschrieben – und, wenn auch bereits vor neunzig Jahren erschienen, nach wie vor aktuell.
Gabriele Tergit: Käsebier erobert den Kurfürstendamm. Btb Verlag. 400 Seiten, 11 Euro.
EIN LIEBESBEWEIS
Hart, rotzig, tiefgründig – das zweite Album der Rapperin Shirin David erwischt einen mit voller Wucht. Was die 26-Jährige auf „Bitches brauchen Rap“ abliefert, ist ein einziger treffsicherer, feministischer Kommentar. Da frage noch mal jemand, wer im Deutsch-Rap jetzt eigentlich was zu sagen hat.
Shirin David: Bitches brauchen Rap. Universal.
EINE HERAUSFORDERUNG
Achatz von Müller legt zu Dantes 700. Todestag dar, was der italienische Nationaldichter und Autor der „Divina Commedia“ mit unserer Moderne zu tun hat. Ein nicht immer einfacher, aber grandioser Abriss auf gut 200 Seiten, inklusive Ezra Pound und Hannah Arendt.
Achatz von Müller: Dante. Imaginationen der Moderne. Wallstein. 222 Seiten, 22 Euro.
Christiane Lutz
EIN LIEBESBEWEIS
Diesen Roman sollte man wirklich nur ausgewählten Menschen schenken, weil er so berührend ist. Gut, dass wir hier unter uns sind: „Die Vögel“ von dem norwegischen Autor Tarjei Vesaas wurde schon 1957 veröffentlicht, der Guggolz-Verlag hat 2020 eine wunderbare Neuübersetzung herausgebracht. Der Roman betrachtet die Welt durch die Augen von Mattis, einem „Dussel“, wie ihn die anderen nennen. Mattis sieht den Himmel, die Schnepfen und findet das Glück an dem Tag, als er zwei Mädchen über den See rudert. Mattis ist pur in seiner Liebe zur Natur und zu seiner Schwester, und vielleicht ist Mattis der einzige, der klarsieht. Eine Geschichte, schlicht und überreich an Schönheit.
Tarjei Vesaas: Die Vögel. Guggolz Verlag. 276 Seiten, 23 Euro.
EINE HERAUSFORDERUNG
Wenn Menschen in die Natur eingreifen, um Probleme zu lösen, schaffen sie oft neue. Etwa südöstlich von New Orleans, wo der Kontinent nur noch aus ein paar Landzungen besteht. Dort bauten die Siedler einst Dämme gegen drohende Überflutung. Doch dadurch fehlte dem Boden der durchs Wasser angespülte Sand, so muss das Land dort heute künstlich und systematisch geflutet werden. Das Beispiel stammt aus einem Essay der Journalistin Elizabeth Kolbert. Eindrucksvoll und erschreckend logisch schlüsselt sie in „Under a White Sky“ das große Versagen des Menschen im Anthropozän auf.
Elizabeth Kolbert: Under a White Sky. Bodley Head. 256 Seiten, 12,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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«Crossroads» ist das spirituelle Gegenstück zu «Die Korrekturen». Jonathan Franzen erreicht mit dem als erster Teil einer Trilogie angelegten Familienroman die Spannung, Nuanciertheit und Intensität seines Erfolgsromans - und noch mehr Tiefe (...). Wie schwer sind Gut und Böse zu durchschauen! Genau deshalb braucht es grosse Romane wie diesen. Martina Läubli NZZ am Sonntag 20211003