Nicht lieferbar
Die abgetrennte Zunge - Wesselmann, Katharina
Schade – dieser Artikel ist leider ausverkauft. Sobald wir wissen, ob und wann der Artikel wieder verfügbar ist, informieren wir Sie an dieser Stelle.
  • Gebundenes Buch

Misogynie, Missbrauch und Gewalt in der antiken Literatur
Misogynie, Missbrauch und Gewalt ziehen sich wie ein roter Faden durch die antiken Texte, die unsere Gesellschaft bis heute prägen. Dass die antike Literatur auf unsere Geschichte und Gegenwart beträchtlichen Einfluss ausübte, ist keine Neuigkeit. Aber es sind nicht nur Errungenschaften wie Philosophie und Literatur, die uns Rom und Griechenland vererbt haben, sondern auch hochproblematische Verherrlichungen von Sexismus und Gewalt.
In einer konsequenten Gegenüberstellung moderner Phänomene und antiker Vorbilder zeigt Katharina
…mehr

Produktbeschreibung
Misogynie, Missbrauch und Gewalt in der antiken Literatur

Misogynie, Missbrauch und Gewalt ziehen sich wie ein roter Faden durch die antiken Texte, die unsere Gesellschaft bis heute prägen. Dass die antike Literatur auf unsere Geschichte und Gegenwart beträchtlichen Einfluss ausübte, ist keine Neuigkeit. Aber es sind nicht nur Errungenschaften wie Philosophie und Literatur, die uns Rom und Griechenland vererbt haben, sondern auch hochproblematische Verherrlichungen von Sexismus und Gewalt.

In einer konsequenten Gegenüberstellung moderner Phänomene und antiker Vorbilder zeigt Katharina Wesselmann, dass sich heutige Vorstellungen von Erotik und Romantik, aber auch gesellschaftliche Normen bis hin zu juristischen Tatbeständen in einer überraschend konsequenten Traditionslinie befinden. Wesselmann liest die klassischen Texte neu und deckt dabei ihre Wirkung auf moderne Männer- und Frauenbilder auf.
Frauenschicksale und ihre männlichen ErzählerDie politische Frau als StörfaktorPhilomelas abgetrennte Zunge: die Tradition des Schweigens über GewaltDie Antike als Wiege des Patriarchats? Männliche Selbstinszenierung von Catull bis Deutschrap
Vom Umgang mit alten Stoffen: antike Mythen mit Gewinn neu lesen

Wie zeitgemäß sind die Texte griechischer und römischer Dichter? Katharina Wesselmann demonstriert an ausgewählten Beispielen wie "männliche Dominanz unsere kulturelle DNA seit Jahrtausenden prägt, inklusive Sexismus, Misogynie und sexueller Gewalt". Die berühmten Werke von Homer, Ovid und anderen Autoren der Antike dienen nicht nur als Inspiration für moderne Filme, Bücher und Lieder. Sie bieten auch Einblicke in die antike Gesellschaft und machen so die Folgen der althergebrachten Geschlechterrollen sichtbar.

Ein spannender Blick in die Vergangenheit und eine Möglichkeit, antiken Texten auf neue und ehrliche Art gerecht zu werden.
Autorenporträt
Katharina Wesselmann ist Professorin für Fachdidaktik der Alten Sprachen an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. In Tübingen, Köln und Basel studierte sie Griechisch, Latein und Kunstgeschichte. In Basel war sie auch 14 Jahre als Latein- und Griechischlehrerin tätig. 2010 promovierte sie mit einer Arbeit über die mythischen Muster im Werk des griechischen Geschichtsschreibers Herodot, 2018 erfolgte die Habilitation über Homers Ilias. Seit 2019 lehrt Katharina Wesselmann in Kiel. Sie schreibt u. a. für die ZEIT.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Melanie Möller verwendet sehr viel Text und viele Zitate darauf, die ihrer Meinung nach offenkundige Problematik von Katharina Wesselmanns Ansatz in "Die abgetrennte Zunge " zu verdeutlichen. Zu "gesellschaftsfähig" sei Möllers Kritik, allzu erzieherisch ihr Vorhaben, allzu ahistorisch ihre Interpretationen antiker Kunstwerke und allzu simpel ihre Schlussfolgerungen in Bezug auf die Prägung heutiger Ideale, Normen, Rollenbilder durch diese Kunstwerke und das darin transportierte Frauenbild. Anhand zahlreicher Beispiele aus Wesselmanns Buch zeigt Möller die Kurzschlüsse auf zwischen Ovids "Liebeskunst" und den modernen "Pick-up-Artists", zwischen Catulls anstößigen Versen und den Lyrics von Kollegah oder K.I.Z, zwischen antiken Elegikern und modernen Incels. Das große Missverständnis dahinter: Kunst und Realität würden einander eins zu eins abbilden. Dass Möller Wesselmanns Arbeit am Ende dennoch eine "an sich anregende Untersuchung" nennt, kann man dann kaum noch nachvollziehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.11.2021

Hört euch doch bloß diese Macker an!
Fatale Frauenbilder und schockierende Geschichten überall: Katharina Wesselmann räumt mit didaktischer Absicht in der antiken Literatur auf

Die klassischen Altertumswissenschaften sind zuletzt nicht nur wegen vermeintlich "rassistischer Tendenzen" in die Schlagzeilen geraten. Vernehmlicher noch sind die Stimmen, die sexistische Darstellungen in vielen antiken Texten entdecken und daraus auf eine frauenverachtende Haltung ihrer Verfasser schließen. Bescheidene Hinweise auf historisch-kulturellen Wandel und die Trennlinie zwischen Kunst und Leben zeitigen da wenig Erfolg. Nun hat sich Katharina Wesselmann, Fachdidaktikerin für alte Sprachen an der Universität zu Kiel, des literarischen Schicksals antiker Frauen und ihrer Echos in der modernen Welt angenommen.

In der Einleitung verortet Wesselmann das Thema kundig in den aktuellen Zensur-Debatten rund um #MeToo und cancel culture. Sie forscht möglichen Zusammenhängen dieser Debatten mit literarischen Darstellungen von Frauen in der Antike nach, um ein "Problembewusstsein" zu schaffen, welches auch didaktische Konsequenzen hat. Dabei geht sie in Sachen Wertung gleich auf Kurs und stimmt damit auf den moralischen Anspruch der Studie ein. Oft werden "enorm schockierende" Geschichten interpretiert, wie die von Prokne und Philomela in Ovids "Metamorphosen": Philomela wurde von ihrem Schwager Tereus nach einer Vergewaltigung im wahrsten Sinne des Wortes mundtot gemacht (daher die "abgetrennte Zunge"), rächt sich mit ihrer betrogenen Schwester Prokne aber nicht minder grausam an ihrem Peiniger. Die Adressatenfrage bleibt ungeklärt: "Schockierend" für wen? Immer wieder heißt es diffus "für uns Heutige", die wir eben "weiter" seien.

Aus dieser Perspektive werden mitfühlende Blicke auf Frauen geworfen, die mehr oder weniger Opfer sind - nicht zuletzt Opfer von Erzählungen männlicher Stimmen. Diese Frauen sind vor allem eines: unselbständig. Dieser Eindruck, so die gebetsmühlenartig wiederholte These, präge die öffentliche Wahrnehmung in und außerhalb der Kunst bis heute. Das beginne mit der auch sexuell "ausgebeuteten Sklavin" Briseis aus der "Ilias", die als "MacGuffin" für den Konflikt zwischen Achill und Agamemnon missbraucht werde; noch jede ihrer Darstellungen, und sei es zuletzt die emanzipiertere Briseis in der Netflix-Serie "Troy" (2018), habe "das Leid echter Opfer" relativiert. Es ist kennzeichnend für die Methode der Autorin, in diesem Kontext auf die Mädchenentführungen durch die Terrororganisation Boko Haram zu verweisen.

Und was ist mit imposanter wirkenden Frauengestalten wie Penelope? Sie scheine "wie Briseis eine Figur, die nur im Hinblick auf ihren Mann existiert" und "zur Gattin reduziert" wird. Lediglich Helena wird eine Sonderstellung eingeräumt, da sie über "agency" verfüge und ihre Rezeption "bis zu einem gewissen Grad kontrollieren" könne, etwa im dritten Buch der "Ilias" als Erzählerin der Ereignisse gegenüber König Priamos.

Ganz besonders ungünstig findet Wesselmann mächtige Frauen dargestellt: Sie beobachtet eine von der Antike bis in die Gegenwart durchgehaltene Verzeichnung zum "monstrum fatale". Die "Dämonisierung" wird mit aussagekräftigen Beispielen belegt: So werden etwa zeitgenössische Karikaturen von Königin Marie Antoinette beim Sex abgebildet oder die obszönen Manipulationen, die die amerikanische demokratische Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez mit Donald Trump zeigen, aus den Schmuddelecken des Netzes hervorgekramt.

Mit diesen Beispielen wird "belegt", dass "bis heute in der Berichterstattung über mächtige Frauen immer wieder ein Unwohlsein zu spüren" sei. Auf der anderen Seite erinnert Wesselmann daran, dass Politiker wie Friedrich Merz oder Horst Seehofer sich lange Zeit dagegen verwahrt haben, Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand anzuerkennen.

Da hört der Spaß endgültig auf, und so wundert es nicht, dass Humoristisches für Wesselmann in diesem Kontext "besonders schwer verdaulich" ist. Die römischen Komödien könne man als solche gar nicht mehr lesen, wohl aber als "hochinteressante Dokumente" für die traditionelle Rechtlosigkeit von Frauen. Hier kriegt auch Ovid sein Fett weg, der nach Meinung der amerikanischen Altphilologin Amy Richlin überdies eine "hochproblematische Lust am Grauenhaften" habe: Seine aus der "Liebeskunst" stammenden Ratschläge, "nein" als "ja" zu interpretieren und "in einem heutzutage besonders schockierenden Zitat" trunkene Frauen zu "Freiwild" zu erklären, hätten etwa die "Pick-up-Artists" allzu wörtlich genommen. Auch werden in diesem Zusammenhang einschlägige Straftaten wie Vergewaltigungen nachweislich betrunkener Frauen kommentiert.

Alle römischen Lyriker, Elegiker und Epigrammatiker kommen schlecht weg. Die obszönen Verse eines Catull und Martial werden mir nichts, dir nichts dem Gangsta-Rap zur Seite gestellt: Wesselmann sieht hier Geistesbrüder von Kollegah und Farid Bang beziehungsweise den Hip-Hoppern von K.I.Z. am Werke: alles ein "Mackertum". Die Elegiker, die oft erfolglos um die Gunst ihrer Geliebten buhlen, werden mit Incels und Stalkern in einen Sack gesteckt. Die elegische Welt sei zwar "künstlich", aber trotzdem voller "schwer verdaulicher Gemeinplätze". Die Fetischisierung der Geliebten liefere der "totalen Exkulpierung des Täters" ein hinreichendes Argument auch in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zwar wird von der Lektüre nicht grundsätzlich abgeraten; sie empfiehlt sich jedoch nur, "wenn man zu einem ehrlichen Umgang mit ihren sperrigen und weiterhin wirkmächtigen Inhalten findet". Und die Autorin redet "emotionalen Reaktionen" auf Lektüren das Wort.

Die Krux liegt einmal mehr in der Beziehung von Kunst und Leben. Sie ist fraglos kompliziert, die eine Seite lässt sich nicht so umstandslos zum Spiegelbild der anderen machen, wie es Wesselmann trotz wiederholter Relativierungsversuche tut. Das haben die inkriminierten Künstler von Catull bis K.I.Z. selbst ausgestellt. Es gipfelt in der subversiven Variante der Hip-Hopper: "Bitte trennt das Werk vom Künstler / Denn privat sind wir sehr viel schlimmer". Blass ist der Schluss von Wesselmanns an sich anregender Untersuchung: eine allzu gesellschaftsfähige Kritik perfektionistischer Schönheitsvermarkterinnen wie Heidi Klum oder Madonna, die mit der erwartbaren Anpreisung von "body positivity" und "ästhetischer Diversität" angereichert wird - und damit leider an der gesellschaftlichen Realität, die sie doch adressieren möchte, nicht nur haarscharf vorbeischrammt. MELANIE MÖLLER.

Katharina Wesselmann: "Die abgetrennte Zunge". Sex und Macht in der Antike neu lesen.

WBG/Theiss Verlag, Darmstadt 2021. 224 S., Abb., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
»Angenehm unprätentiös und gleichzeitig ernst schreibt sie [Katharina Wesselmann] von 'Toy Boys' oder 'Bitches', um im nächsten Absatz Grundlagen altrömischer Dichtung zu erklären. Das macht das Buch nicht nur informativ, sondern stellenweise auch sehr lustig.« Deutschlandfunk Kultur, Buchkritik »Katharina Wesselmann räumt mit didaktischer Absicht in der antiken Literatur auf.« FAZ »Unter dem Einfluss der MeToo-Debatte analysiert sie darin antike Texte neu mit einem feministischen, kritischen Blick ... eine humorvolle und ... scharfe Analyse der heutigen Zeit im Lichte der Vergangenheit.« bzbasel.ch »Wesselmann lädt in ihrem großartigen Buch über die Antike als 'Wiege des Patriarchats, der Misogynie und Gewalt' dazu ein, deren Texte mit frischem Blick zu lesen.« Virginia Frauenbuchkritik